Für die Wetterkundler ist es der 01. Juni jedes Jahres und die Astronomen ziehen am 21. Juni nach: Dann ist offizieller Sommerbeginn. Spätestens jetzt fragen wir uns, wie wir unseren Körperfettanteil noch etwasverringern können, ohne dabei (zu) viel unserer mühsam antrainierten Muskulatur zu verlieren.

Körperfett verlieren und Muskelmasse erhalten oder gar aufbauen – geht das? Mit diesem weiteren Gastartikel für TRAINSANE möchte ich diese Frage erläutern und Probleme sowie Lösungsmöglichkeiten aufzeigen.

Substanzaufbau der Muskulatur ergibt sich, wenn der in den Muskelzellen passierende Proteinaufbau den -abbau übersteigt. Um ein Gefühl hierfür zu kriegen: Wenn du innerhalb eines Jahres knapp 4 kg Muskelmasse aufbaust, entspricht dies kaum 10 Gramm Muskelmasse, die du im Mittel pro Tag zulegst. Dafür lagerst du nur etwa 3 Gramm Protein ein – der Rest ist vor allem Wasser.

Bereits diese überraschend geringen Werte verdeutlichen, dass unser Körper sich damit schwertut, Muskeln aufzubauen. Dies merken vor allem jene, die schon seit einigen Jahren am Eisen sind. Denn spätestens dann ist der Aufbau von 4 kg reiner Muskelmasse in einem Jahr eine beachtliche Leistung.

Für die Einlagerung von Protein in der Muskulatur ist es nötig, dem Körper genug Protein zuzuführen. Kraftsportler wissen dies, deshalb nehmen sie in der Regel viel mehr Protein zu sich als Nichtsportler und als die internationalen Ernährungsgesellschaften empfehlen.

Muskulatur ist allerdings ein stoffwechselaktives, also energiezehrendes Gewebe. Um sich vor einem zu hohem Energieverbrauch durch zu viel Muskulatur zu schützen, nutzt der Körper insbesondere zwei Mechanismen:

1. Unsere Muskelzellen reagieren nicht auf beliebig hohe Proteinmengen, bei gut 20 Gramm pro Mahlzeit ist das für den Aufbau nutzbare Maximum erreicht.

2. Nach etwa 2 Stunden stoppt die Einlagerung von Protein in die Muskelzellen erst einmal, selbst wenn weiteres Protein zugeführt wird oder im Blutstrom verfügbar ist.

Allerdings machen wir durch anstrengendes Training die Muskulatur sensibler für Nahrungsprotein, dann nimmt sie für einen Zeitraum von 24 Stunden (oder länger) vermehrt  Protein aus dem Blutstrom auf, wodurch sich als kurzfristige Folge jeder Trainingseinheit ein geringes Muskelwachstum ergeben kann.

Erfahrene Sportler wissen, dass Muskelaufbau mit der Zeit immer schwieriger wird. Hierfür müssen wir uns beim Training steigern, selbst wenn unsere Leistungen bereits beachtlich sind. Auch bei der Ernährung müssen wir genau hinsehen, sie muss alle nötigen Bestandteile enthalten und mit wachsendem Leistungsstand erlangt das Timing der Nahrungszufuhr eine zunehmende Bedeutung.Vor allem aber realisieren wir, dass eine dem Muskelaufbau förderliche Ernährung regelmäßig mit einem Energieüberschuss verbunden ist. Sehr viele Sportler machen sogar die Erfahrung, dass jemand, der in einer Muskelaufbauphase nicht einmal an Körperfett zulegt, auch keine Muskeln aufbauen kann.

Genau dies ist das Problem, das es so schwierig macht Muskeln aufzubauen, während wir Körperfett verlieren möchten und hierfür folgerichtig mit einem Energiedefizit arbeiten. Vor allem, wenn wir unsere Kohlenhydratzufuhr einschränken, um dieses Energiedefizit herbeizuführen, neigen wir zum Verlust von Muskelprotein. Dies möchte ich an einigen Punkten verdeutlichen:

1. Eine geringe Kohlenhydratzufuhr führt zu einem niedrigen Füllstand der Kohlenhydratspeicher in Muskulatur und Leber. Dadurch verringern sich die Trainingsleistungen und reduziert sich die Reaktion der Muskelzellen auf die Zufuhr von Nahrungsprotein.

2. Mit einer verringerten Kohlenhydratzufuhr reduziert sich die Ausschüttung des den Blutzucker regulierenden Hormons Insulin. Dieses Hormon hemmt den Abbau von Muskelprotein.

3. Das Signalprotein AMPK ist ein Sensor für die Verfügbarkeit von Energie im Gewebe, so auch in den Muskelzellen. Beim Bestehen eines Energiedefizits hemmt es den Muskelaufbau, indem es die Reaktion der Muskelzellen auf Nahrungsreaktion reduziert. Dieser Mechanismus ist ein natürlicher Schutz unseres Körpers vor den energiezehrenden Auswirkungen des Muskelaufbaus.

Welche Möglichkeiten haben wir, um trotz einer für den Fettabbau nötigen Verringerung unserer Energiezufuhr erfolgreich unsere Muskulatur zu erhalten, womöglich sogar aufzubauen?

Die Antwort ist: Wir müssen die für einen Verlust von Körperfett bei gleichzeitigem Muskelerhalt (oder sogar Muskelaufbau) sich in vielerlei Hinsicht widersprechenden Stoffwechselszenarien in unserem Körper möglichst widerspruchsfrei nebeneinander bestehen lassen. Das Folgende trägt dazu bei:

1. Der Königsweg führt über ein nur moderates Energiedefizit. Der dadurch nur relativ langsame Verlust von Körperfett ist der Preis für den Muskelerhalt und die Möglichkeit zusätzliche Muskelmasse aufzubauen.
2. Im Tagesverlauf sollte im Abstand von etwa 3 Stunden eine Menge von jeweils 20-40 Gramm hochwertiges Protein zugeführt werden. Der geringere Wert gilt für leichtgewichtige Frauen, der höhere für schwergewichtige Männer. Hierdurch werden unsere Muskelzellen immer dann, wenn sie aufnahmebereit sind, mit den maximalen Mengen Nahrungsprotein über den Blutstrom versorgt.
3. Zusätzlich sollten bei jeder Mahlzeit jeweils mindestens 15 Gramm Kohlenhydrate zugeführt werden, um den Insulinspiegel leicht anzuheben und so den den Muskelabbau reduzierenden Effekt Insulins zu nutzen. Dieser Wert gilt für Menschen mit sitzender Tätigkeit, wer auch außerhalb des Trainings körperlich aktiv ist, muss mit höheren Werten experimentieren.
4. Immer nach dem Training sollte sofort an die Wiederauffüllung der Kohlenhydratspeicher gedacht werden. Um die Trainingsleistungen aufrechtzuerhalten, empfehle ich sofort nach dem Training und 2 Stunden später die Zufuhr Kohlenhydraten. Für einen 100 kg schweren Sportler, bei dem die Bauchmuskeln noch nicht sichtbar sind, könnten dies etwa 80 g Kohlenhydrate sein.
5. Cardiotraining sollte nur dann unterstützend ausgeführt werden, wenn das Training mit Gewichten nicht, gar nicht(!), leidet. Jedes Ausdauertraining auf Kosten eines Gewichtstrainings birgt die Tendenz des Muskelabbaus.
6. Das Gewichtstraining sollte kurz, aber intensiv und mit möglichst wirksamen Techniken im Sinne des Muskelaufbaus durchgeführt werden. Das entscheidende Kennzeichen eines geeigneten Trainings ist hohe Ermüdung, die sogar mit relativ geringen Gewichten angepeilt werden kann. Zu beachten ist jedoch, dass es weniger energiezehrend und mental fordernd ist, diese Ermüdung mit mittleren als mit geringen Gewichten zu erreichen.
7. Die Ernährung sollte von hoher Qualität und Vielfalt sein. Denn gerade bei geringer Energiezufuhr kann es zu Nährstoffdefiziten kommen, die auch durch Nahrungsergänzungen nicht ausgleichbar sind. Nährstoffdefizite verhindern, dass der Körper ordnungsgemäß funktioniert, so dass tendenzieller Muskelabbau die logische Konsequenz ist.
8. Um das Ziel der Fettreduktion nicht vor allem als Kampf des eisernen Willens gegen ein zehrendes Hungergefühl zu verstehen, sollten täglich große Mengen Gemüse gegessen werden. Dein Körper verfügt über Sensoren, die das Nahrungsvolumen messen, so dass diese großen Nahrungsmengen bei gemüsetypisch geringer Energiezufuhr eine bedeutende Erleichterung darstellen.
9. Wer es wirklich ernstmeint, isst „sauber“ und verzichtet auf Leerkalorien wie Zucker, Maltodextrin (nach dem Training), Öle etc., denn Leerkalorien enthalten zwar Energie, aber nur wenig sonstige Nährstoffe. Hiermit verbunden ist erfahrungsgemäß ein vergleichsweise hoher Aufwand bei der Nahrungszubereitung bzw. -auswahl, der sich allerdings lohnt.
10. Während einer Phase der Energiereduktion ist die körperliche Widerstandsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit reduziert. Regelmäßig genug zu schlafen ist dann besonders wichtig, damit der Körper sich seine Reserven bewahrt.

Versuche einige der genannten Punkte umzusetzen und du wirst es ein Spur leichter haben, deinen Körper in der gewünschten Weise zu verändern! Viel Spaß und viel Erfolg dabei!

Autor:

Keller

Markus Keller, Jahrgang 1971, ist seit 1984 aktiver Kraftsportler und seit 1990 als Trainer und Ernährungsberater tätig. Er berät Sportlerinnen und Sportler sowie Unternehmen der Fitness- und Ernährungsbranche. Seit 1994 ist er als Werbetexter und Autor tätig. Seine aktuellste Publikation ist das Buch „50 Chancen für mehr Erfolg in Bodybuilding & Fitness: Wissenschaft auf den Punkt gebracht“.

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